Der Schlüssel-Mythos – Warum wir in Kita-Debatten die falschen Fragen stellen
Als ich zum Expert:innenforum „Startchancen Frühe Bildung" von WZB und Robert-Bosch-Stiftung nach Berlin eingeladen wurde, habe ich mich gefreut. Ein anderer Blick auf die frühe Bildung, ein neues Programm, aber auch die bekannten Herausforderungen.
Mit den Inputs wurde mir klar: Im Fokus der Kita-Debatte stehen seit Jahren Fachkraft-Kind-Schlüssel. Dabei gibt es noch eine andere wichtige Ebene, die wir stärker in den Blick nehmen sollten.
Was passiert eigentlich IN der Kita?
Die zentrale These des Forums: Bessere Personal-Schlüssel sind nicht alles. Wir müssen genau hinschauen, was die Kinder in der Kita brauchen. Und wir müssen uns dafür multiprofessioneller aufstellen oder auch zielgerichteter weiterentwickeln.
Dabei geht es um die Prozessqualität. Also: Was passiert konkret zwischen Kindern und Fachkräften, und auch den Familien?
Konkret könnte das bedeuten: Kita-Sozialarbeit, die in der Elternarbeit ungemein unterstützt. Mobile Inklusionsfachberatungen, die zielgerichtet bei den individuellen Bedarfen der Kinder ansetzen und Bürokratie überwinden. Bindungsorientierte Elternkurse. Intensive Familienarbeit.
Hier liegt auch eine unserer größten Aufgaben: Gerade die Kinder, die von Armut betroffen sind, Kinder mit sozialen und ökonomischen Risikofaktoren – sie würden aktuell am meisten von einem guten System Kita profitieren, bleiben aber zu oft außen vor.
Dabei spielt die Elternarbeit eine große Rolle. Diese ist jedoch für einen Großteil der Fachkräfte mit besonderer Belastung verbunden. Sie ist einer der wichtigsten beruflichen Gründe für Burn-Out – und gleichzeitig so entscheidend für das Gelingen frühkindlicher Bildung.
Vom Bedarf der Kita zum Bedarf des Kindes
„Bedarfsorientierung" klingt gut. Aber was heißt das konkret? Die Impulse im Forum haben mir gezeigt: Vielleicht sollten wir die Frage anders stellen.
Nicht: „Was braucht die Kita?"
Sondern: „Was braucht das Kind in seiner spezifischen sozialen Lage?"
Und hier wird eine zentrale Erkenntnis wichtig: Die Kindertagesbetreuung wird Familien nie ersetzen können. Wir müssen aber stärker zusammenarbeiten, auch wenn es nicht einfach ist, und dabei das Kind im Fokus behalten. Dafür brauchen wir zielgerichtete Ressourcen und neue Kompetenzen – etwa durch Sozialarbeit oder spezialisierte Beratungsangebote, die Fachkräfte entlasten und Familien erreichen. Aber auch durch Vorbereitungszeit. Zeit, Gespräche vorzubereiten und den Blick auf das einzelne Kind fokussieren zu können. Die mittelbare Pädagogik und nötige Ressourcen spielen eine Schlüsselrolle.
Die Chance: Kita und Schule zusammendenken
Hier kommt das Startchancen-Programm Frühe Bildung ins Spiel. Es steht noch am Anfang der Entwicklung, ist aber endlich ein Programm, das stärker die Kinder in den Fokus nehmen kann, die es am nötigsten brauchen. Es bietet eine echte Chance, zielgerichtet zu investieren. Auch Übergänge zu gestalten und Bildungsbiografien durchgängiger zu begleiten.
Gerade Übergänge zwischen Institutionen sind mit Hindernissen verbunden. Das System muss sich mehr an den Kindern und deren Bedarfen ausrichten – nicht umgekehrt. Die Institutionen verändern sich, es sind aber weiterhin dieselben Kinder.
Denn: Auch Schule muss mehr auf die Bedürfnisse der Kinder eingehen. Auch die Schulen müssen sich dem Sozialraum öffnen. Auch eine Schule kann ein Familienzentrum sein.
Bildungsorte müssen zu Orten des Sozialraums weiterentwickelt werden. Hin zu mehr Vernetzung, Beratung und Zusammenarbeit. Modelle und Ideen aus Deutschland, wie die flächendeckenden Familienzentren in NRW oder die Early Excellence Centres in Großbritannien, gibt es bereits.
Der nächste Schritt: Wir brauchen zielgerichtet Kita-Sozialarbeit und inklusive Fachberatungen, um den Kindern gerecht werden zu können. Wir müssen auch die Kooperation mit den Schulen stärker in den Fokus nehmen. Kita und Schule müssen im Sinne der Kinder multiprofessionell zusammenarbeiten.
Was ich mitnehme
Drei Gedanken:
1. Multiprofessionelle Teams und Organisationen sind der Schlüssel. Mehr Personal allein reicht nicht – wir brauchen die richtigen Kompetenzen an den richtigen Stellen. Kita-Sozialarbeit, mobile Inklusionsfachberatungen – das sind konkrete Ansätze, die individuelle Bedarfe der Kinder in den Fokus rücken.
2. Elternarbeit braucht Entlastung. Die Kindertagesbetreuung kann Familien nicht ersetzen. Wir müssen zusammenarbeiten, brauchen dafür aber zielgerichtete Ressourcen und neue Kompetenzen. Mittelbare pädagogische Zeiten, Sozialarbeit und spezialisierte Beratungsangebote können hier einen wichtigen Unterschied machen.
3. Kooperation über Institutionen hinweg ist unverzichtbar. Das Startchancen-Programm Frühe Bildung bietet die Möglichkeit, Kita und Schule zusammenzudenken. Wenn beide stärker zusammenarbeiten, könnte das Übergänge für Kinder erleichtern. Die Frage ist: Was braucht es dafür?
Wo würdet ihr konkret ansetzen?
Die Frage, die mich beschäftigt: Wie schaffen wir es, dass Kita und Schule wirklich zu Orten des Sozialraums werden und zusammenarbeiten – nicht nur auf dem Papier, sondern spürbar für die Kinder und Familien?
Schreibt gerne in die Kommentare.
Schreibe einen Kommentar