Auftaktveranstaltung im Programm Kita-Einstieg: Verstehensorientierte Pädagogik als Zugang zu Kindern
Von der verhaltens- zur verstehensorientierten Pädagogik - was heißt das?
Allzu oft vermuten wir hinter dem Verhalten eines Kindes eine bestimmte Intention. Wer zum 10. Mal das zuvor freudig heruntergeworfene Spielzeug wieder aufhebt, fragt sich schon, ob das Kind nun testet wie lange das Spiel noch funktioniert oder einen gar ein bisschen ärgern will? Sich zu fragen, wieso ein Kind agiert, ist grundsätzlich der richtige Ansatz. Dabei geht es zunächst darum dem Kind keine „böse Absicht“ zu unterstellen, sondern den „guten Grund“ in seinem Verhalten zu erkunden. Ist im obigen Beispiel das Kind im Alter von ca. 8 Monaten, trainiert es mit dem Herunterwerfen seine „Objektkonstanz“. Das heißt, es möchte wissen, ob etwas was es nicht sieht, dennoch wieder kommt. Eine wichtige Grundlage, um später Trennungen gut bewältigen zu können. Das Verhalten des Kindes wäre also altersgemäß und notwendig zur Bewältigung seiner Entwicklungsaufgaben.
Manchmal zeigen Kinder jedoch ein Verhalten, das nicht so eindeutig als normativ und altersgemäß eingeordnet werden kann. Hinter "schwierigem" Verhalten steckt dann meist eine weniger eindeutige Botschaft, die es für uns Fachkräfte zu entschlüsseln gilt. Kinder teilen uns ihre Bedürfnisse, Sorgen, Nöte und Belastungen eher über ihr Verhalten, als über Worte mit. Dieses gilt es dann zu übersetzen.
Professionalität heißt auch, "up-to-date" zu sein
Die Suche des hinter dem Symptom verborgenen Problems erfordert nicht nur Geduld, sondern auch Professionalität und fachliches Wissen. Wer Pädagogik als Fach im wissenschaftlichen Diskurs verfolgt, stößt auf viele Fachrichtungen: Neurobiologie, Resilienzforschung, Entwicklungspsychologie, Bildungsforschung...
Zum professionellen Verstehen und Handeln gehört also ein fundiertes Wissen über die kindliche Entwicklung und Pädagogik. Dabei ist es notwendig, dass sich dieses – wie in jeder Profession immer auf dem aktuellsten Stand der Wissenschaft befindet. Niemand möchte heute mehr mit einem Antibiotikuum von 1970 behandelt werden, nur weil der Arzt davon noch einige in Reserve hat und eben schon immer dieses Medikament verschrieben hat. Professionalität bedeutet also auch, eine stetige Reflexion des eigenen Handelns.
Für (fast) alles gibt es gute Gründe!
Die Darstellung des Eisbergmodells verdeutlicht sehr gut, wie groß der verborgene Teil hinter dem sichtbaren Verhalten eines Kindes ist. Die schon erwähnte Sozialität des Kindes lässt darauf schließen, dass zumeist eine positive Absicht bzw. ein Bedürfnis besteht. Gute Gründe und Ursachen können alters- und entwicklungsspezifisch, systemisch bzw. kontextuell bedingt oder eine Verhaltensbotschaft sein, der bestimmte Erfahrungen zugrunde liegen.
Wichtig ist es die im Verhalten verborgenen Grundbedürfnisse von Kindern wahrzunehmen und diese feinfühlig zu beantworten.
„Ich will….“ – Autonomiebedürfnisse
Dazu gehört das Autonomiebedürfnis von Menschen: Es gilt also Kinder als selbstbestimmte Menschen anzusehen und ihnen ihren eigenen Willen zuzugestehen. Wer etwas nicht essen mag, sollte auch nicht hierzu überredet, geschweige denn gezwungen werden. Die Autonomie des Kindes zu respektieren heißt auch, es als Persönlichkeit wertzuschätzen.
„ Ich brauche Dich…..“ Bindungsbedürfnisse
Die Bindung zwischen der Bezugsperson und dem Kind ist für seine Entwicklung äußerst wichtig. Nur sicher gebundene Kinder sind zu Explorations- und Autonomie-Erfahrungen in der Lage und befähigt, sich sozial (weiter) zu entwickeln. Auch ist Bindung eine wichtige Voraussetzung für die Resilienzentwicklung, also die Fähigkeit, schwierige Lebenssituationen gut zu meistern. Und das müssen wir unser Leben lang. Gerade für Kinder mit Traumata ist eine sichere Bindung zu den Erzieherinnen und Erziehern enorm wichtig, um die Kita als sicheren Ort wahrzunehmen und heilsame Erfahrungen zu machen.
Um zu verstehen wie wichtig für ein Kind eine von guter Resonanz geprägte Bindung ist, haben wir uns im Rahmen des Vortrags das Still-Face Experiment angesehen.
Meine "Learnings"
-
Egal wie groß der Mensch ist - jeder hat das Recht auf einen eigenen Willen und Selbstbestimmung
-
Der Mensch ist von Natur aus sozial - wenn er/sie sich nicht so zeigt, gibt es einen guten Grund (den ich vielleicht nicht immer verstehe, aber nachvollziehen können sollte)
-
In die Kita gehören gut ausgebildete pädagogische Fachkräfte, die nach neustem erziehungswissenschaftlichen Wissen geschult worden sind - und auch bereit sind, sich weiter zu bilden. Menschliche Intuition, Empathie und Einfühlungsvermögen sind natürlich äußerst wichtige Attribute in der Arbeit mit Kindern - aber bilden allein noch keine Professionalität.
Wer war sonst noch bei der Auftaktveranstaltung? Was habt ihr aus dem Nachmittag mitgenommen? Gab es schon Situationen, wo ihr das Gelernte übertragen konntet? Lasst die anderen daran teilhaben!
Kommentare
Ich habe vor allem einen neuen Aspekt zum Thema “Probier-Zwang” mitgenommen, bzw. ein weiteres Argument dagegen. Bislang fand ich es (bei allem Verständnis für den Wunsch, vor allem „mäkelige“ Kinder mögen doch mal ihren geschmacklichen Horizont erweitern und nicht „aus Prinzip“ alles ablehnen, was neu ist) generell fragwürdig, Kindern beizubringen, dass sie NICHT auf ihr Bauchgefühl hören sollen.
Aus Missbrauchspräventions-Sicht gedacht, würde ich außerdem scharfe Kritik äußern an der Haltung „Man kann ja auch mal was über sich ergehen lassen, was einem nicht so angenehm ist.“
Neu war für mich die Überlegung: Kleine Kinder werden ja mal große Kinder. Bis zu welchem Alter wollen wir eigentlich, dass sie alles mal probieren, was sie noch nicht kennen?!? Wollen wir Teenager heranziehen, die damit großgeworden sind, dass man die eigene Intuition zu Gunsten der neuen Erfahrung missachtet?? Oder wollen wir Kinder darin unterstützen, auf ihr Gefühl zu vertrauen und Angebote selbstbewusst abzulehnen – möglicherweise aus guten Gründen.
Schreibe einen Kommentar